J. Baumann: Bundesinterventionen in der Bankenkrise 1931–1937

Titel
Bundesinterventionen in der Bankenkrise 1931–1937. Eine vergleichende Studie am Beispiel der Schweizerischen Volksbank und der Schweizerischen Diskontbank


Autor(en)
Baumann, Jan
Erschienen
Zürich 2007: Universität Zürich
Anzahl Seiten
517 S.
Preis
ISBN
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Benedikt Hauser

Das hier zu besprechende Buch beweist es schwarz auf weiss: Eine «Abhandlung zur Erlangung der Doktorwürde», wie es altmodisch auf dem Cover heisst, kann nebst Erkenntnisgewinn und Substanz sehr wohl auch Spannung und Lesevergnügen bieten. Dies sei umso mehr hervorgehoben, als es sich beim Forschungsgegenstand um eine finanztechnisch komplexe Materie handelt, bei der man sich nur allzu leicht im Detail verlieren könnte. Abgehandelt werden zwei Rettungsprojekte des Schweizer Finanzplatzes während der 30er Jahre des 20. Jahrhunderts: Das eine scheiterte, das andere hatte Erfolg. Der Autor beschreibt die beiden Projekte, setzt sie zum wirtschaftlichen und politischen Kontext in Bezug und analysiert die Gründe für ihren unterschiedlichen Verlauf.

Quellenmässig ist die Studie solide abgestützt. Ausgewertet wurden Akten des Bundesarchivs, der historischen Archive der Schweizerischen Nationalbank (SNB) und der UBS sowie ein umfangreiches publiziertes Schriftgut. Nicht gestattet wurde dem Autor der Zugang zu den für die Untersuchung entscheidenden Beständen im Archiv der Credit Suisse Group (CSG). Was wohl die Gründe dafür waren? Baumann ist weder ein unbedarftes Jungblut noch Marxist: Er hat schon mehrfach wissenschaftlich publiziert und arbeitet seit mehreren Jahren als Redaktor einer gut bürgerlichen Zeitung. Besteht somit Anlass zur Vermutung, dass diese Akten auch heute noch als hochbrisant einzustufen sind, so dass man sich dafür entschieden hat, sie unter Verschluss zu behalten? Oder will man vielleicht generell der nicht firmeneigenen Forschung einen Riegel schieben? Man muss sich mit Mutmassungen begnügen und ernüchtert konstatieren, dass sich in der Schweiz auch heute noch ohne plausible Begründung Geschichtsverhinderung betreiben lässt.

Hauptgegenstand des ersten Teils des Buchs ist das 1855 gegründete Comptoir d’Escompte de Genève, die einzige Grossbank mit Hauptsitz in einem welschen Kanton, welche es je gab. Wurde das Genfer Traditionshaus 1931 zum Krisenfall, so war dies primär darauf zurückzuführen, dass die Bank nach dem Ersten Weltkrieg eine aggressive Wachstumspolitik verfolgte, die mehr auf hochverzinsliche Engagements bei ausländischen Finanzinstituten setzte als auf die reguläre Kreditvergabe, wobei man zusätzlich Klumpenrisiken in Osteuropa eingegangen war. Hinzu kam ein sich dramatisch verschlechterndes Umfeld: Am 13. Juli brach die Danat-Bank in Deutschland zusammen, was nicht ohne Auswirkungen auf die Schweiz blieb. Kurz danach begannen Gerüchte zu zirkulieren, dass das Comptoir d’Escompte seine Schalter schliessen müsse. Bundesrat Musy, der die Stabilität des Schweizer Kreditsystems gefährdet sah, brach seine Ferien in Graubünden ab und reiste nach Genf, um mit den führenden Bankiers vor Ort eine Lagebesprechung abzuhalten. Vier Tage später stellte er der Landesregierung den Antrag, der Bank ein verzinsliches Depot von 20 Millionen Franken zu gewähren. Das Kollegium folgte ihm, und trotz teilweise heftiger Kritik segnete das Parlament das Vorgehen der Landesregierung ab.

Die Aktion war – neudeutsch formuliert – als «Public Private Partnership» konzipiert: Staat und Privatwirtschaft verpflichteten sich gegenseitig, der Bank unter die Arme zu greifen und sie zu sanieren. Musys Plan sah vor, dass der Löwenanteil der zu gewährenden Hilfe von Schweizer Finanzinstituten zu leisten sei. Trotz anfänglichem Widerstand durch die Genfer Bankenwelt wurde ein Garantiekonsortium der Deutschschweizer Grossbanken gebildet, das dem angeschlagenen Institut unter der neu zu führenden Bezeichnung der Diskontbank frisches Kapital zuführte und ihm Stützungskredite gewährte, wobei es gleichzeitig auf eine Redimensionierung der Strukturen drang, indem es eine Schliessung der Aussenstellen in Basel und Zürich erwirkte und somit im selben Zug die unliebsame Konkurrenz in den eigenen Stammlanden eliminierte. Zusätzlich beteiligt waren die SNB, die sich bereit erklärte, über die Grossbanken an sie gelangende Diskontbank-Wechsel ausserhalb der üblichen Limiten zu diskontieren, sowie die Kantonalbanken, die ihrerseits die Rettungsaktion mit namhaften Beiträgen unterstützten.

Kam es rund drei Jahre später dennoch zum Zusammenbruch des Instituts, so waren dafür zwei Faktoren ausschlaggebend: Zum einen gelang es der Diskontbank auch nach der Einleitung der Sanierungsmassnahmen und trotz weiteren Zuschüssen des Bundes nicht, Gewinne zu erwirtschaften, und zum anderen fehlte die Bereitschaft, dem nicht genesen wollenden Patienten ein weiteres Mal neue Gelder zuzuführen, zumal sich die mehrheitlich linke Kantonsregierung Genfs geweigert hatte, sich finanziell an der Rettung der Bank zu beteiligen, wobei, so Baumann, dieser Schritt nicht der Grund, sondern nur der Anlass war, um die Übung abzubrechen. Das intensiv praktizierte Krisenmanagement hatte unter anderem zur Folge, dass sich die wichtigsten Akteure zu einer «Diskussions- und Handlungsgemeinschaft» (S. 173) gefunden hatten, die besser imstande war, die Risiken gesamthaft abzuschätzen, und die im Unterschied zu 1931 zum Schluss kam, dass ein Bankrott des Instituts keine Gefahr für den Schweizer Finanzplatz bedeutete. Auch politisch gab es keinen Grund, die Aktion weiterzuführen: Die Bank galt als elitäres Genfer Haus mit mehrheitlich ausländischer Kundschaft, das selbst von der Regierung des eigenen Kantons fallengelassen wurde. Damit fehlte der für die Sicherung der Weiterexistenz erforderliche politische Support.

Ausser Spesen nichts gewesen? Betrachtet man die gescheiterten Bemühungen unter dem Aspekt der dabei gesammelten Erfahrungen, so ist das Fazit zu relativieren. Wenn es nur wenig später gelang, den drohenden Zusammenbruch der ebenfalls stark in Schieflage geratenen Schweizerischen Volksbank (SVB) zu verhindern und das Institut nachhaltig zu sanieren, dann ist dies auch darauf zurückzuführen, dass man die Szenarien für solche Fälle nunmehr besser kannte und mit ihnen umzugehen wusste.

Die als Genossenschaft organisierte SVB war landesweit präsent und verfügte 1931 über 75 Niederlassungen in fast allen Kantonen. Schwerpunkte ihrer Geschäftstätigkeit waren die Entgegennahme von Spareinlagen und die Vergabe von Krediten an kleinere und mittlere Unternehmen. Wie aus einer bankinternen Untersuchung von 1933 hervorgeht, hatte das Institut einen starken Rückhalt bei Frauen: 47 485 Genossenschaftern standen 44 638 Genossenschafterinnen gegenüber, unter welchen sich besonders viele Hausangestellte, aber auch Arbeiterinnen befanden. Welchem Banktypus lässt sich somit die SVB zuordnen? Worin unterschied sie sich z.B. von den Kantonalbanken? Wie rekrutierte sie ihr Führungspersonal und wie legte sie ihre Strategien fest? Es wäre aufschlussreich, diese nach wie vor nur ansatzweise untersuchten Fragen vertieft zu untersuchen. Tatsache ist, dass die traditionelle Volksnähe der Bank ihre Leitung nicht daran gehindert hat, nach dem Ersten Weltkrieg einen ähnlichen Weg wie das Comptoir d’Escompte zu beschreiten. Man versuchte, Einbussen im Stammgeschäft durch ein forciertes Auslandengagement zu kompensieren, was gründlich missriet: Massive Verluste, Liquiditätsengpässe und schliesslich ein Run auf die Schalter waren die Folgen.

Die SVB musste Aktiven von rund 120 Millionen Franken abschreiben und ihr genossenschaftliches Kapital um die Hälfte reduzieren. Durch eine Mehrheitsbeteiligung des Bundes erhielt sie 100 Millionen frisches Kapital. Zudem wurde die Führung ausgewechselt und der Geschäftskreis auf die traditionelle Kreditvergabe an das Gewerbe und Private im Inland zurückgebunden. Die Operation erwies sich als Erfolg: Das Institut überwand die Krise und existierte noch lange Jahre weiter, bis es 1993 von der damaligen CS Holding übernommen wurde und kurz danach als eigenständige Bank von der Bildfläche verschwand.

Ausschlaggebend für die Rettung war, dass die SVB als «Grossbank der kleinen Leute» (S. 320) und als Kreditinstitut für den Mittelstand galt. Dadurch trat das Engagement des Bundes als Ausdruck der Solidarität mit den Genossenschaftern der Bank und ihrer breiten Kundschaft in Erscheinung. Die Sanierung wurde so zu einem «Akt der nationalen Verständigung» (S. 477), der von allen grossen Parteien und von weiten Teilen der Öffentlichkeit mitgetragen wurde, wobei sicher auch die Überlegung eine wichtige Rolle spielte, dass ein Zusammenbruch des Instituts nur schwer absehbare Kollateralschäden im Gewerbe und wohl auch in der Landwirtschaft nach sich gezogen hätte.

Zum Schluss ein kurzer Blick noch auf die Gegenwart. Die Frage drängt sich nachgerade auf: Gibt es Parallelen zum UBS-Debakel der letzten beiden Jahre? Prima vista ja, doch darf folgendes nicht übersehen werden: Dass die mit Abstand grösste Bank der Schweiz zum ebenso gravierenden und wie beschämenden Sanierungsfall verkommt und dass sie wegen Beihilfe zum Steuerbetrug gleichzeitig unter massiven Druck der US-Behörden gerät, übertrifft in diesen Dimensionen alles, was sich hierzulande an Vergleichbarem je zugetragen hat, zumal die Aufsichtsbehörden heute über Kontrollmöglichkeiten verfügen, von welchen ihre Vorgänger nur träumen konnten. Oberflächliche Analogien helfen da nicht weiter. Gefragt wären vertiefte und möglichst unvoreingenommen durchgeführte Analysen, und dafür braucht es wohl noch etwas Abstand.

Zitierweise:
Benedikt Hauser: Rezension zu: Jan Baumann: Bundesinterventionen in der Bankenkrise 1931–1937. Eine vergleichende Studie am Beispiel der Schweizerischen Volksbank und der Schweizerischen Diskontbank. Zürich (s.n.), 2007. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 58 Nr. 3, 2008, 200 S. 352-354.

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Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 58 Nr. 3, 2008, 200 S. 352-354.

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